Mit der Bahn zum Kaiser nach Usedom
Ein Reisebericht
Meiner Familie gefällt das nicht, ich weiß. Sie würden sich lieber von mir quer durch die halbe Republik chauffieren lassen, als sich in den Zug zu setzen. Dabei haben alle eingesehen, dass ein Auto mitten in einer Großstadt keinen Sinn macht und statt Sprit auf der Straße in der Garage nur Geld verbrennt! Eine Zugfahrt hat doch auch seine schönen Seiten!
Es sollte ein paar Tage nach Heringsdorf gehen, was nach Fisch, Salz und Provinz riecht, aber wenig von alledem hat. Die drei "Kaiserbäder" reihen sich im Osten der Insel Usedom mit Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck wie Perlen ans Baltische Meer. Bis fast an die polnische Grenze bei Swinemünde (Świnoujście). Die erlauchte Bezeichnung "Kaiserbäder", der nach der Wende von den Tourismusverbänden und den Bädern wieder zu Glanz verholfen wurde, erhielten die Dörfer wegen der vielen schönen Villen aus der Kaiserzeit; und Wilhelm I. soll auch selbst dort gekurt haben.
Doch zunächst mussten wir ja mal erst dorthin kommen!
Es gibt einen IC (ohne "E"xpress), der durchgehend von Köln zum Ziel fährt (Das letzte Stück kurz vor der Insel mit drei Kurswagen, der Restzug fährt nach Rügen). Die Fahrzeit beträgt rund 10 Stunden, etwa genauso lange wie jüngst nach Puerto Plata in die Dominikanischen Republik! Erst mal nach links bis fast an die holländische Grenze nach Duisburg, dann durch den Ruhrpott mit "Stopp and Go" (da fällst du ja von einer Stadt sofort in die nächste) über Westfalen (Porta Westfalica, auch Wilhelm I.) nach Hannover.
Die Klimaanlage funktionierte gut: es blies eiskalt von der Decke! Immerhin gab es erst hier den üblichen "Lokschaden" und wir hatten eine Stunde für ein vergnügliches Mittagsschläfchen, wenn, ja wenn nicht die pubertierenden Fußballfans von Hans Rostock mit ihren Bierflaschen in der Hand von einer Hundertschaft martialisch geschützter Polizisten sehenswert vom Bahnsteig "geleitet" worden wären. Ist natürlich auch eine Art der Unterhaltung für störungsbedingt wartende Bahnkunden! Man lässt sich schon was einfallen! Respekt, DB!
Nun an VW vorbei in die ehemalige DDR nach Berlin: Halte in Spandau und Gesundbrunnen (Nomen est omen, unser Ziel ist nahe!). Nach dem Lokwechsel in Hannover herrschten auch wieder normale Temperaturen im Abteil. Wer bis hierhin genervt war, konnte sich jetzt entspannen, folgte doch ab hier eine sehr ruhige, langsame und unaufgeregte Weiterfahrt über Eberswalde, Prenzlau, Anklam (vorbei an der Uckermark) nach Züssow.
Züssow ist für die Ostsee das, was für Köln der Hauptbahnhof ist!
Natürlich ohne Dom! Und ohne jegliches Haus in der sichtbaren Umgebung! Nämlich: ein Touristen-Umschlagplatz! In Züssow trennen sich die Wege der Touris in ihren Waggons wie beschrieben; wir zwei werden von der "UBB", der Usedomer-Bäder-Bahn, über die noch zu reden sein wird, angekoppelt und vorbei an schmucken kleinen Bahnhöfen wie "Trassenheide", "Zempin", "Koserow", "Kölpinsee" oder "Ückeritz" nach Heringsdorf verzogen. Hurra! Wir sind da!
Das vornehme Hotel wollte uns eigentlich abholen, es ist aber Niemand zu sehen. (Dabei hatte ich sogar unterwegs angerufen und eine Stunde Verspätung avisiert). Oder deshalb? Ein Taxifahrer redete mehr mit sich selbst, dass er zum Maritim fahre, und auf meine Frage, ob er uns mitnähme, wissen ließ: Ich werde sie nicht abweisen, natürlich dürfen sie bei mir mitfahren! Er hatte noch eine Dame zur Kurklinik im Auto. So kam es, dass ich zwar schnell im Hotel, schnell aber auch schon mein erstes Geld in Heringsdorf los war (was sich mehr oder weniger so fortsetzen sollte. Wohl eher mehr!).
Doch es gab ein sehr schönes Zimmer und der Blick vom Balkon auf die Seebrücke und die flanierenden Gäste entschädigten schnell. Die Waterkant an der Ostsee sieht auf Usedom grundsätzlich immer so aus: ein etwa 50 m breiter Sandstrand, ansteigender Grünstreifen mit Sträuchern und sehr, sehr schönen und teils alten Bäumen, dann die breite Promenadenstraße und zuletzt die Villen! Eine nach der anderen, eine schöner und prächtiger als die nächste! Saniert, repariert und leerstehend. Jedenfalls einige. Von Heringsdorf konnten wir 2 ½ km nach links (nach Westen) bis Bansin an Villen vorbei laufen oder 2 ½ km rechts (nach Osten) bis Ahlbeck an noch schöneren Villen entlang flanieren! Unterbrochen nur von einem Kurpark oder dem "Steigenberger" (Was die sich bei der - mehrere große Wohnriegel umfassenden - pikfeinen weißen Anlage wohl gedacht haben?).
Jedes Seebad besitzt eine Seebrücke, die unterschiedlich gestaltet ist. Erst einmal dient sie natürlich den Ausflugsschiffen als Anleger. Doch die drei Bäder werden ja ausschließlich von urlaubenden RentnerInnen, PensionärInnen oder KurgästInnen bewohnt, also gibt es in Heringsdorf in der Mitte der Brücke eine überdachte Einhausung, unter der sich mehrere schicke Boutiquen zum Shoppen befinden. Das heißt, die Rentner müssen nicht bis Ende der Brücke, bis zu einem Rondell mit einem echten Italiener laufen, um ihr Geld los zu werden! Praktisch, oder? Beim Italiener kann dann jeder entweder draußen drum herum (teilweise in Strandkörben mit Tischchen) oder drinnen drum herum sitzen und Alkohol trinken (Rentner müssen bekanntlich und meiner Beobachtung nach ganz offensichtlich viel trinken!), aber auch Pizza und Pasta oder auch kreative Eisbecher zu sich nehmen. Es ist entsprechend voll dort.
Auch Ahlbeck besitzt ein Restaurant am Ende der Seebrücke, davor aber noch eine schicke "öffentliche" Jugendstil-Uhr von 1911! In Bansin steht die (einfache) öffentliche Uhr mitten auf der Kreuzung der Promenade mit der (einfachen) Seebrücke. Hier geht auch einfach alles etwas bürgerlicher zu. Gute bürgerliche Küche! Weiter westlich, in Zinnowitz, wo sich die Bäderbahn entscheiden muss, ob sie links oder rechts herum fährt und wo der Kaiser offensichtlich nicht gewesen ist, gibt es eine "Tauchgondel" am Ende der Brücke: Man steigt ein (und bekommt erst mal einen 3D-Unterwasserfilm des "Great Barriere-Riffs" in Australien gezeigt!), dann taucht die luftdichte Glocke 3 ½ m unter die Oberfläche der Ostsee. Kostet allerdings auch 7 Euro pro Person.
Was kann man noch machen auf Usedom? Gut essen gehen, zum Beispiel! Ein Fahrrad leihen und losfahren (Usedom ist die zweitgrößte deutsche Insel, deutlich größer als Fehmarn!). Wandern geht gut, und für die älteren Semester ist ja noch die UBB da! Außerhalb der Saison jede Stunde, sonst jede halbe Stunde, fährt sie in zwei Linien von Züssow (Festland) bis nach Swinemünde im Osten bzw. Peenemünde im Westen (so sind denn auch die Begrenzungen der Insel im Westen der Peenestrom, im Osten die Swine). Es gibt Tageskarten, die ebenfalls nicht allzu billig sind (aber das will ja auch niemand wirklich!). In Peenemünde entwickelte Wernher von Braun übrigens im Krieg die V1/V2 für Hitler, ehe ihn die Amerikaner für ihr Mondprogramm abholten. Da gibt es auch ein Militärmuseum und für den, der es mag, viel Trostlosigkeit im ehemaligen militärischen Sperrgebiet.
In den Kurhäusern und fast in jedem Hotel werden zudem Wellness-Anwendungen angeboten (Die Preise kennt ja wohl jeder!), und man kann sich den anstrengenden Tag wegmassieren lassen, bevor man sich meinetwegen ins Usedomer Brauhaus begibt, um naturtrübes Bier zu trinken.
Für mich persönlich gab es noch ein schönes Erlebnis: Wir haben uns mit einer Verwandten und ihrem Mann getroffen, die hier schon Jahrzehnte auf Usedom leben. Ich hatte sie seit 1954 nicht mehr gesehen!
Irgendwann war es dann auch für uns wieder soweit und wir mussten nach einer frischen, aber sehr sonnigen Woche, von der Insel Abschied nehmen. Bitte keinen Stress! Wir haben doch einen durchgehenden Zug, diesmal nur gute 9 Stunden bis Köln (Genau wie aus Puerto Plata, was damals mit Rückenwind begründet wurde!). Doch wieder kam es anders. Nachdem wir uns zu Fuß zum Bahnhof Heringsdorf begeben hatten (die Sonne schien und wir wollten die Taxifahrer nicht unnötig belästigen), gab es kurz vor Fahrplan die Durchsage: Wegen Lokschaden fällt der Zug heute aus! Bitte benutzen sie die nächste reguläre Bäderbahn ca. 20 Minuten später!
Ihren Zug in Züssow werden sie noch erreichen, der wird auf sie warten!, sagte der freundliche Schaffner mit Blick auf unser Ziel und so, als wollte er dafür gelobt werden. Ich fand, das sei aber auch das Wenigste. Es ging um 2 Minuten Überscheidung! Und tatsächlich: wir hatten Glück! Die Koffer in Züssow auf die andere Seite des Bahnsteigs gerollt, in den ersten besten Waggon des wartenden Zugs gewuchtet, einen nicht reservierten Platz gesucht, welche gefunden und hingesetzt! Was wollten wir eigentlich mehr! Der Zug fuhr ab (Es war sogar der richtige!) und der Zugführer begrüßte uns im Lautsprecher und bat um besondere Aufmerksamkeit bei den kommenden Durchsagen.
Wir glitten durch die schöne Landschaft der pommerschen Provinz, als er sich wieder meldete: Liebe Fahrgäste, der nächste Halt ist Anklam. Ausstieg in Fahrtrichtung links! Wir bedanken uns bei allen Fahrgästen, die hier aussteigen. Für weitereisende Fahrgäste folgende Information: Wir haben leider ein technisches Problem und werden versuchen, es in Anklam zu reparieren. Sollte uns das nicht gelingen, endet die Fahrt dort! - Peng! Tief Luft holen! Anklam ist gefühlt zwar nur halb so groß wie der Friedhof Melaten, dafür aber doppelt so tot! (Verzeihung liebe Anklamer, Gereizte ziehen schon mal ungerechte Vergleiche...) Sollten wir heute noch Anklam City durchstreifen? Man will uns wieder etwas bieten, sagte ich mir wenig begeistert. Möglicherweise wird man uns hier bei den Wölfen aussetzen!
In einer guten halben Stunde dann die frohe Botschaft: Wir fahren weiter! Der Schaden ist behoben. Ich packte die beiden Lunchpakete unseres Hotels aus und schraubte die Thermokanne auf. Ah…, es roch nach gutem Kaffee und frischen Brötchen. Ist das nicht schön, mit der Bahn in Urlaub zu fahren, sagte ich mir und biss in die Käsesemmel. Ich muss zwar nicht mehr arbeiten gehen, aber jetzt hatte ich trotzdem so richtig Urlaub! Unser Zugschaden lag schließlich hinter uns …
2013-07-18 08:3